20 Jahre Mauerfall
Projektwoche 20 Jahre Mauerfall
DDR: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
20 Jahre nach dem Mauerfall verblasst die Erinnerung an die DDR-Geschichte.
Aktuellen Untersuchungen zufolge halten viele Jugendliche Walter Ulbricht für einen antikommunistischen Widerstandskämpfer, die Mauer für ein Nachkriegsbauwerk der Westalliierten und die DDR insgesamt für eine grundsätzlich erfolgreiche Wohlfahrtsdemokratie.
Die Projektwoche, die an der Berufsschule Neumarkt vom 09. November bis zum 13. November 2009 im Rahmen des Faches Sozialkunde stattfand, wollte Ereignisse und Menschen aus 40 Jahren DDR in Erinnerung rufen, Zusammenhänge untersuchen und damit auch einen Beitrag zum gegenseitigen Verstehen der Deutschen in Ost und West leisten.
Im Eingangsbereich war während dieser Woche die Ausstellung "Von der friedlichen Revolution zur Deutschen Einheit" zu sehen. Sehr viele Klassen besuchten diese Ausstellung im Rahmen des Sozialkundeunterrichts.
Daneben wurde die Erarbeitung des Themenbereichs durch Arbeitsblätter bzw. Filme, u.a. von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED - Diktatur unterstützt.
Höhepunkt dieser Woche war sicherlich der Zeitzeugenbericht von Rainer A. Schubert mit der Überschrift „Verfolgt, verraten, verhaftet ...".
Nach einer kurzen Begrüßung durch den Schulleiter, Herrn OStD Albert Hierl, der in seiner Ansprache die Notwendigkeit der Erinnerns betonte und mit einem leicht abgewandelten Zitat von Willy Brand „...es ist zusammengewachsen was zusammengehört" schloss, begann Herr Schubert vor ca. 200 Schülern mit seinem Zeitzeugenbericht.
Folgten ihm die Schüler bei den einleitenden Worten, mit denen er die damalige politische Großwetterlage beschrieb, schon aufmerksam, so wurde es immer leiser, als er seine ganz persönlichen Begegnungen mit der Justiz der DDR schilderte.
Herr Schubert war als Fluchthelfer tätig und schmuggelte ca. 100 DDR-Bürger nach Westdeutschland. Nachdem er von der Stasi nach Ostberlin gelockt worden war, wurde er verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe von 15 Jahren verurteilt. Sein Anwalt war der bekannte Ostberliner RA Wolfgang Vogel, der ihm vorkam wie ein Vertreter der Anklage und nicht wie ein Verteidiger.
Aufgelockert wurde sein Vortrag durch humorige Nebensätze, in denen er u.a. eine Begegnung mit einem Volkspolizisten schilderte, der ihn aufforderte, das Handschuhfach seines Autos zu öffnen. Schubert fragte damals zurück, ob die DDR-Bürger wohl schon so verhungert wären, dass sie ins Handschuhfach passen. In einer anderen „Anekdote" beschrieb er den LKW, mit dem er ins Stasigefängnis Bautzen gebracht wurde. Zur Tarnung stand auf dem LKW „Frische Fische".Schubert: „... der frische Fisch das war ich ...".
Seine Haftstrafe (1975 - 1983) verbrachte er in verschiedenen Stasigefängnissen, darunter 2 Jahre in Einzelhaft im Untersuchungsgefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit, Berlin Hohenschönhausen. Danach war er für fast 7 Jahre im Sonderzuchthaus der Staatssicherheit Bautzen II inhaftiert.
Man konnte eine Stecknadel fallen hören bei den Schilderungen seiner Erlebnisse, die er in den Gefängnissen machte. Kaum vorstellbare Formen psychischer Gewalt erlebte Herr Schubert.
So musste er nachts auf dem Rücken schlafen, mit dem Gesicht zur Zellentür, damit die Wachen ihn immer durch das „Guckloch" beobachten konnten. Drehte er sich im Schlaf und schlief dann auf der Seite, traten die Aufseher gegen seine Tür. Wachte er nicht auf, so kamen sie herein und schlugen ihn mit dem Gummiknüppel in die „richtige" Position.
In der Untersuchungshaft wurde er täglich 8- 9 Stunden verhört. Soziale Kontakte hatte er über knapp 2 Jahre nur zum vernehmenden Stasioffizier und seinem „Schließer", der mit ihm nur 5 „Sätze" sprach: „Kommen se, gehen se, nehmen se, Kopf zur Wand, umdrehen". Andere Häftlinge bekam er nie zu Gesicht.
Ausgang im Innenhof des Gefängnisses gab es einmal pro Woche für 30 Minuten, nachts um 03:00 Uhr auf einem, mit einem Stromzaun begrenzten, kleinen Innenhof des Gefängnisses.
1983 wurde er von der Bundesrepublik gegen „Devisen", an denen die DDR immer interessiert war, freigekauft und nach Westdeutschland "abgeschoben".
Herr Schubert zog einige Parallelen zwischen der Zeit des Nationalsozialismus und des Sozialismus. So gab es im Nationalsozialismus Blockwarte, deren Funktion im Sozialismus die sog. Hausvertrauensmänner übernahmen. Die Aufmärsche in beiden Systemen waren gleich. Die Aufgaben der Gestapo (15.000 Mann) wurden im Sozialismus von der Stasi (480.000 Stasimitarbeiter) übernommen.
Besonders ärgerte es ihn aber, dass es nach der Wende viele frühere Stasiangehörige wieder in höhere Positionen geschafft haben und anderen Stasiangehörigen regelmäßig die Rente erhöht wird. „Frühere SED-Politiker sitzen an der Ostsee und fahren Audi, wie Egon Krenz".
Die Jahre in den Stasigefängnissen haben ihn geprägt, aber die Erfahrungen lassen ihn auch klarer Position beziehen.
Zum Schluss gab er den Schülern noch den Rat, an seine Erfahrungen zu denken, wenn ihnen jemand erzählen will, wie toll der reale Sozialismus war. Gleichzeitig betonte er aber, dass seine Zeitzeugensicht sehr subjektiv sei und zur einer umfassenden Meinungsbildung sicher auch noch andere Quellen gehörten, die die Schüler auch nutzen sollten.
Herzlichen Dank Herr Schubert für diese überaus lebensnahe Schilderung Ihrer Geschichte, die unseren Schülern einen wertvollen Einblick in diese Zeit gewährt hat.
Eine Zeit, die sie nur noch aus Erzählungen anderer Menschen bzw. aus Medienberichten kennen, sind doch viele der Zuhörer erst nach 1989 geboren. Hier ist Geschichte bzw. Sozialkunde begreifbar geworden. Lange nach der abschließenden „Fragestunde" wurden die Inhalte dieses Zeitzeugenberichts von Schülern und Lehrern - teilweise kontrovers - noch diskutiert.
Das Fach Sozialkunde lebt von solchen unterschiedlichen Auffassungen, so wird Sozialkunde besonders lebendig.
Authentischer als durch einen Zeitzeugen kann man Geschichte bzw. sozialkundliche Zusammenhänge nicht erfahren. Das war eine interessante Gelegenheit „Politik" zu erleben!
Trappe
Sozialkundefachbetreuer
Weitere Veranstaltungen an Bayerns Schulen zum Thema "20 Jahre Mauerfall" :
http://www.bayern.de/Wege-in-die-Freiheit-.2309.10283234/index.htm