Diktatur ist einfacher als Demokratie - 30 Jahre Mauerfall (2)
95% der 3-jährigen Kinder waren im Kindergarten. Findet ihr das gut?
Am 11. Oktober besuchte uns Herr Thomas Lukow auf Einladung der Hanns-Seidel- Stiftung zu zwei Vorträgen über das Mauersystem zwischen Deutschland und Berlin. Nach einer kurzen geschichtlichen, deutsch-deutschen Einführung begann Herr Lukow seine persönlichen Erfahrungen mit dem „Mauersystem“ zu schildern.
„Wir singen Soldatenlieder …, wir wollen Offiziere werden …, unser Feind steht im Westen ….“
Das seien Inhalte frühkindlicher Pädagogik des SED - Einheitskindergartens gewesen, den Thomas Lukow mit den meisten seiner Altersgenossen in der Deutschen Demokratischen Republik besuchte. Als Kind und Jugendlicher war er begeistert dabei. Bei den Jungpionieren wie bei den Thälmannpionieren und natürlich auch in der Freien Deutschen Jugend. Wenn man hier nicht mitmachte, wurde man ausgegrenzt, mit dem Ziel sich anzupassen, auf „Linie“ zu kommen.
Die Mauer war die Staatsgrenze bzw. der „Antifaschistische Schutzwall“. Jeder der die Mauer kritisierte, war nach Ansicht der SED folgerichtig ein Nazi und konnte verhaftet werden. Überhaupt hatte die DDR einige spezielle Strafrechtsvorschriften, die es so im Westen nicht gab.
Im jungen Erwachsenenalter kamen Lukow erste Zweifel an dem Staat, als er auf die Frage warum die Stacheldrahtzäune an der Staatsgrenze nach Osten geneigt seien, die Antwort bekam, das sei deswegen damit ein feindlicher Agent, der illegal in die DDR eingedrungen sei, nicht mehr zurück könne. “Das muss einem erst einmal einfallen!“
Nach weiteren persönlichen Erfahrungen mit der Staatsmacht trat er aus der FDJ aus und beschloss, auszureisen.
Im Alter von 22 Jahren wurde er dann wegen „versuchter Republikflucht“ verraten und zu 20 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, die er im Stasigefängnis Hohenschönhausen und Bautzen II verbrachte.
Nachdem er in der Slowakei gefangen genommen worden war, musste er mit dem Flugzeug nach Berlin geflogen werden. Dabei wurde er von den Polizeibeamten in Handschellen gelegt. „Ihr wisst schon, Handschellen sind wichtig im Flugzeug, wegen der Fluchtgefahr“
Im Stasigefängnis Hohenschönhausen erlebte er dann einen Prozess der Entindividualisierung, er sah 8 Monate keine Mithäftlinge, wusste nicht wo er war, hatte keinen Fernseher und auch kein Radio. Der Vernehmer, der ihm stundenlang immer dieselben Fragen stellte, hatte einen Anzug an, er war mit einem Trainingsanzug bekleidet, das war das äußerliche Zeichen der Machtverhältnisse und sollte das Ausgeliefertsein unterstreichen.
Bei den Vernehmungen sollte der Untersuchungshäftling Lukow beweisen, dass er nicht ausreisen wollte („...eine Umkehr der rechtsstaatlichen Prinzips …“)
Die nächste Station war Bautzen, hier musste er arbeiten, zum Glück gab es einige ältere Gefangene, die ihm halfen, die strengen Arbeitsnormen zu erfüllen.
Nach seiner Entlassung engagierte er sich in der Kulturszene Ostberlins und kirchlichen Friedenskreisen, 1989 konnte er mit seiner Familie in den Westen ausreisen und erfüllte sich den großen Traum, einmal nach New York zu reisen.
Dass er in den Straßen von New York einen Passanten sah, der in einer DDR-Uniform, die er wahrscheinlich auf dem Flohmarkt billig erstanden hatte, an ihm vorbei ging, empfand er als ehemaliger DDR-Häftling als völlig aberwitziges Erlebnis.
Was manche Erwachsene noch selbst miterlebt haben, ist für Jugendliche Geschichte von gestern: die Teilung Deutschlands und das Nebeneinander zweier komplett unterschiedlicher politischer und gesellschaftlicher Systeme während des Kalten Krieges. Vor allem über die DDR wissen Jugendliche nur wenig. Umso wichtiger ist es, Zeitzeugen zu finden, die ihre Erfahrungen mit dem System der DDR weitergeben.
Vielen Dank Herr Lukow und Herr Christa von der Hanns-Seidel-Stiftung für dieses Stück deutsch-deutsche Wirklichkeit.
Thomas Trappe, Sozialkundefachbetreuer