Jahresbericht Sozialkunde 2019/2020

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Nichts ist so beständig wie der Wandel.

Wer hätte jemals gedacht, dass soziale Distanz zur Voraussetzung für soziales Denken wird, oder wie es Bundeskanzlerin Angela Merkel ausdrückt, „Abstand gleichzusetzen ist mit Fürsorge“. Zum Zeitpunkt dieses „Jahresrückblickes“ ist die „Coronakrise“ in vollem Gange und sorgt für gesellschaftliche Verhältnisse, deren Folgen momentan weder auf gesellschaftspolitischer noch auf wirtschaftlicher Seite abzusehen sind. Die Epidemie macht sichtbar, wie verletzlich unser vernetztes soziales System ist.

Dass der Weg aus der Krise über das Gegenteil sozialer Vernetzung, der “sozialen Distanz“ führt, macht das Ganze paradox. Um die Globalisierung zu retten, braucht es Rückzug, Ruhe und Geduld.

„Es wird noch einige Zeit dauern, bis wir vom Krisenmodus zurück in den Alltagsbetrieb kommen. (...) Jede Krisenzeit bietet letztendlich der Generation, die sie zu bewältigen hat, eine Chance, daraus Lehren zu ziehen und sich weiter zu entwickeln - sonst würde es die Menschheit heute nicht mehr geben“, so fasste es Regierungspräsident Axel Bartelt Ende März als Regierungspräsident der Oberpfalz zusammen.

Was wird das sein, was wir aus dieser Krise lernen werden? Vor allem wohl, dass es uns ohne Virus-Epidemie verdammt gut geht und wir im Gegensatz zu vielen anderen Ländern das große Glück haben, ein sehr gut ausgebautes Gesundheitssystem zu besitzen. Vielleicht werden wir uns auch daran erinnern, dass die wertvollsten Erlebnisse die waren, in denen wir ohne „Alltagsstress“ mit unseren Familien zusammen waren? „Alles wirkliche Leben ist Begegnung“, so hat Martin Buber es einmal beschrieben.

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Oder wird es wie so oft in Rückblicken eine Verklärung bzw. „Glättung“ der Vergangenheit geben und die Denkanstöße, die wir in dieser Zeit bekommen haben, schnell vergessen sein?

Nach der Finanzkrise im Jahr 2008 konnte man Ähnliches beobachten: Einige Wochen lang haben alle gesagt: "Oh, alles, was wir wirtschaftlich für wahr gehalten haben, stimmt ja gar nicht!" Man hat grundsätzliche Fragen gestellt: Was ist Geld? Was sind eigentlich Schulden? Aber irgendwann hat man plötzlich entschieden: "Halt, wir lassen das jetzt wieder. Lasst uns so tun, als sei das alles nie passiert! Lasst uns alles wieder so machen wir vorher!"

David Graeber, ein Anthropologe an der London School of Economics stellte in diesem Zusammenhang fest, dass uns „die allergrößte Krise noch bevorsteht“, der Klimawandel. „Wir standen die ganze Zeit auf den Gleisen und ein Zug kam uns direkt entgegen. Und jetzt hat uns jemand brutal von diesen Gleisen gestoßen, das tut weh und ist schrecklich. Aber das Dümmste, was wir tun könnten, wenn wir wieder auf die Beine kommen: Uns wieder zurück auf die Gleise stellen, wo der Zug auf uns zurast!“

Auch wenn der wirtschaftliche Einbruch jetzt wahrscheinlich zu einer kurzfristigen Annäherung an die Klimaziele führt, bleibt Fakt, dass der Klimawandel weiter seinen Lauf nimmt. Eine Krise macht die andere nicht weg oder kleiner. Wirtschaftliche Einbrüche ersetzen niemals eine vernünftige Klimaschutzstrategie.

Das Ausmaß der finanziellen Auswirkungen der „Coronakrise“ auf die Stabilität des gesamten europäischen Finanzsystems lässt sich noch gar nicht absehen.

Von der aktuellen Krise in den Hintergrund gedrängt worden ist das Thema Migration, ein bis heute kaum gelöstes „Megathema“ der Europäischen Gemeinschaft. Man kann nur hoffen, dass die überwiegend jüngeren Flüchtlinge die schwerwiegenden medizinischen Folgen dieser Pandemie nicht noch zusätzlich zu ihrer eh schon desolaten Lebenssituation schultern müssen.

Zur Bewältigung all dieser Krisen bedarf es eines breiten gesellschaftlichen Konsenses. In einer freiheitlichen Gesellschaft ist selbstverständlich niemand zum Mitmachen gezwungen. Ohne Mitmacher allerdings verschwindet die freiheitliche Gesellschaft irgendwann. Offenbar haben viele, auch im Mikrokosmos Schule verlernt, was eine Debatte ist und wie sie funktioniert: Menschen oder Gruppen mit verschiedenen Meinungen tauschen sich aus, um eine gemeinsame Lösung zu finden, meist in Form eines Kompromisses. Das Schweigen der moderaten Mehrheit erschwert dies allerdings. Auch Gleichgültigkeit gefährdet demokratische Strukturen.

Wir müssen deshalb mehr Demokratie wagen, bereit sein für einen gesellschaftlichen bzw. schulischen Diskurs wie wir uns unsere Zukunft vorstellen. Für viele Systeme gilt, dass eine Kultur, in der ein Mann an der Spitze von Untergebenen ständig Loyalitätsbeweise erwartet, statt zum Widerspruch zu ermuntern, die Probleme eher noch verstärkt.

Schüler, aber auch Lehrkräfte sollen sich also „einmischen“ in den gesellschaftlichen und schulischen Prozess des „Miteinanders“. Lehrer sollen erziehen zum Nachdenken über die eigenen Angelegenheiten, zum Mut des Widerspruchs. „Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage“ fordert alle Mitglieder der Schulgemeinschaft auf, Mut zu zeigen die eigenen Anschauungen zu vertreten. Mit ein paar kleineren Veranstaltungen versuchte der Fachbereich Sozialkunde, hier Anregungen zu geben und idealerweise politisches Interesse bzw. Engagement anzustoßen.

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Im Herbst 2019 hatte die Klasse WBA 11 im Rahmen des Projekts „Lernort Staatsregierung“ die Möglichkeit, das Bayerische Heimatministerium zu besichtigen (siehe Extrabericht). Dabei hatten wir die Gelegenheit, mit Finanzminister Albert Füracker zu sprechen.

Am 04. März besuchte die „DGB Jugend“ im Rahmen ihrer bayernweiten Berufsschultour die Berufsschule Neumarkt. Dabei nutzten einige Klassen die Möglichkeit, einen Vertreter der Gewerkschaftsjugend in eine Sozialkundestunde einzuladen, der dann zu gewerkschaftlichen Themengebieten wie z.B. arbeits- und tarifrechtliche Fragen, Gegenwart und Zukunft der Gewerkschaften ... referierte.

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"In den USA können Google und Facebook das Wahlergebnis um 10% in eine Richtung verschieben!", mit diesem Zitat von Robert Epstein beschrieb Michael G. Möhnle bei seinem Vortrag mit dem Thema: „Die digitale Revolution: Leben, lernen und arbeiten in einer digitalen Welt“ die sozialkundliche bzw. gesellschaftliche Relevanz des Themas Digitalisierung.

Herr Möhnle war mit Unterstützung der Hanns-Seidel-Stiftung nach Neumarkt zum „Digital Day“ gekommen um den Schülern der verschiedenen Fachklassen die technische und gesellschaftliche Relevanz des Jahrhundertthemas „Digitalisierung“ näher zu bringen (siehe Extrabericht).

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Dass das Thema Digitalisierung nur einen Monat später im Brennpunkt pädagogischen Handelns stehen sollte, ahnte zu diesem Zeitpunkt niemand. Die Schließung der bayerischen Schulen ab dem 16. März hatte zur Folge, dass vom einem auf den anderen Tag der gewohnte analoge Schullalltag zum Stillstand kam und von digitalen Methoden ersetzt werden musste. Sicher kann digitalisierter Unterricht den Präsenzunterricht nicht ersetzen, in den jetzigen Zeiten ist er aber ein ad­äquates Mittel größere Defizite zu vermeiden.

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Am 11. Oktober besuchte uns Herr Thomas Lukow auf Einladung der Hanns-Seidel-Stiftung zu zwei Vorträgen über das Mauersystem zwischen Deutschland und Berlin (siehe Extrabericht). Was manche Erwachsene noch selbst miterlebt haben, ist für Jugendliche Geschichte von gestern: die Teilung Deutschlands und das Nebeneinander zweier komplett unterschiedlicher politischer und gesellschaftlicher Systeme während des Kalten Krieges. Vor allem über die DDR wissen Jugendliche nur wenig. Umso wichtiger ist es, Zeitzeugen zu finden, die ihre Erfahrungen mit dem System der DDR auch in Zukunft in vergleichbaren Veranstaltungen weitergeben können.

Zum Schluss möchte ich mich wieder besonders bedanken bei der Religionsabteilung für ihr „soziales Engagement“ bei der Unterstützung des Kinderhospizes in Bad Grönenbach/Allgäu und für die sensible Begleitung bei Todesfällen an unserer Schule.

Trappe, StD

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